Eine Wanderin und ein Bauer werden totgetrampelt, eine Joggerin hat plötzlich die Hörner einer Kuh im Rücken. In jüngster Zeit machten Rinder-Attacken auf Menschen Schlagzeilen. Dabei sind Kühe friedliche Tiere. Sie können nur nicht mit Stress umgehen.
Es war der absurde Höhepunkt einer Reihe von ungewöhnlichen Angriffen: Mitten in München fällt eine entlaufene Kuh eine Joggerin an, nimmt sie auf die Hörner und verletzt sie schwer. So außer sich ist das Tier, dass die Polizei es nur mit Schüssen aufhalten kann. Das Rind, das am Morgen vom Schlachthof geflohen war, stirbt neben einem Oktoberfestzelt und zu Füßen der Bavaria. Die Joggerin, der sie ihre Hörner in den Rücken rammte, kommt mit offenen Wunden ins Krankenhaus.
So spektakulär dieser Fall auch ist – er ging noch vergleichsweise glimpflich aus. Nur wenige Tage zuvor war ein Bauer im oberbayerischen Pleiskirchen bei Altötting von seinen eigenen Rindern angegriffen und getötet worden. Der 57-Jährige hatte 60 Kühe und einen Bullen, die während der Nacht im Freien waren, am frühen Sonntagmorgen in den Stall treiben wollen. Dabei griffen ihn eines oder mehrere der Tiere an und verletzten ihn so schwer, dass er noch auf der Weide starb.
Der Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau (SVLFG) wurden im vergangenen Jahr fast 10 200 Unfälle mit Rindern gemeldet. In etwa 41 Prozent der Fälle trat ein Rindvieh zu. Fast 150 der Unfälle wurden als Angriffe von Rindern deklariert. Davon endeten vier tödlich.
Meist sind mangelndes Wissen und „Fehler in der Mensch-Tier-Kommunikation“ der Grund für diese Zwischenfälle, wie Tierschutzbund-Sprecher Marius Tünte sagt. „Kühe sind sehr friedliche Tiere, jedoch ist die Arbeit mit ihnen nicht ungefährlich.“
Inzwischen werden Schulungen zum richtigen und vor allem stressfreien Umgang mit Herdentieren angeboten. Der Stress sei es nämlich, der aus einer friedlichen Kuh eine aggressive machen kann, sagt Tünte, der auch den Wandel in der Landwirtschaft für Probleme zwischen Mensch und Tier verantwortlich macht. „Die Bestandsgrößen wachsen und die Landwirte können zu den vielen Tieren ihres eigenen Bestandes kein optimales oder gar kein Vertrauensverhältnis aufbauen“, sagt er. „Statt sich und den Tieren Zeit zu lassen, werden diese durch eine aggressive Körpersprache, Druck und lauter Stimme zu der gewünschten Leistung bewegt. Fühlt sich ein Rind bedrängt und kann nicht ausweichen, kann es schnell zu Verletzungen kommen.“
Das musste einst selbst der frühere, im Jahr 2000 gestorbene Bundeslandwirtschaftsminister Josef Ertl erleben. Im Jahr 1993 wurde er auf dem Hof seines Sohnes von einem Stier lebensgefährlich verletzt.
Nicht nur für Landwirte können Rinder gefährlich werden – auch Wanderer auf Almen sollten sich vorsehen. In den vergangenen Wochen machten Attacken von Kühen auf Menschen in Österreich Schlagzeilen. Ende Juli wurde eine deutsche Wanderin im Stubaital bei einem Angriff von Kühen getötet. 20 Kühe und Kälber trampelten die 45-Jährige aus Bad Dürkheim in Rheinland-Pfalz zu Tode. Sie war mit ihrem Hund auf einem Wanderweg unterwegs, als die Tiere sie attackierten. Die Tiere wollten vermutlich ihre Kälber vor dem Hund schützen. „Kühe nehmen den Hund als Bedrohung wahr“, warnt der Bayerische Bauernverband.
Wenige Tage später wurde ein 68-jähriger Hundebesitzer von Rindern schwer verletzt. Der Mann war mit seinem Husky und seiner 46-jährigen Tochter, die auch einen Hund dabei hatte, auf einem markierten Wanderweg in der Steiermark unterwegs, als etwa zehn Kühe auf ihn losstürmten. Der Mann wurde hochgeschleudert und erlitt Stoß- und Sturzverletzungen. Er wurde mit dem Rettungshubschrauber ins Krankenhaus geflogen. Der Hund wurde leicht verletzt, die Tochter kam mit dem Schrecken davon.
„Wenn Kühe Menschen angreifen, dann meistens deshalb, weil sie sich bedrängt fühlen, Stress ausgesetzt werden oder ein Herdenmitglied oder das eigene Kalb schützen möchten“, sagt Tünte vom Tierschutzbund. Und Michael Lohse vom Deutschen Bauernverband fügt hinzu: „Das hat noch nicht einmal was mit Aggressivität zu tun.“
Der Bayerische Bauernverband hat Spaziergänger und Wanderer in den Bergen nach den Unfällen inzwischen zu besonderer Vorsicht aufgerufen und rät, gebührenden Abstand zu Weidetieren zu halten. „Ruhig bleiben, nicht davonlaufen und im absoluten Notfall der Kuh mit einem Stock auf die Nase hauen oder langsam und ruhig aus der Gefahrenzone gehen“ – so lautet die Empfehlung. In Österreich hat die Landwirtschaftkammer Tirol nach den Kuh-Attacken einen Flyer zum richtigen Verhalten auf der Alm ausgegeben. Der Titel: „Eine Alm ist kein Streichelzoo“.