Ralph Rückert – Tierarzt Studium an der Ludwig-Maximilian-Universität in München Mitgliedschaften: |
Im ersten Jahr nach unserer Praxisgründung 1989 suchte uns der Besitzer eines knapp einjährigen, männlichen Deutschen Schäferhundes auf. Damals hatten wir noch offene Sprechstunde ohne Terminvergabe, so dass ich nicht wusste, worum es ging. Tierärzte mustern einen Hund meist schon beim Eintreten in das Behandlungszimmer ziemlich intensiv und sehen dabei eine ganze Menge. In diesem Fall konnte ich nicht die geringste Auffälligkeit feststellen; der Hund war ein ausnehmend schönes Exemplar seiner Rasse, seinem Alter entsprechend lebhaft und interessiert, und ein Kippohr verlieh dem rassetypisch strengen Gesicht eine drollige Note. Auf meine Frage, wie ich helfen könnte, wurde mir knapp und ruppig mitgeteilt, dass ich den Hund einschläfern müsse. Um es kurz zu machen: Das Kippohr war das Problem! Der Schäferhund war als Zuchtrüde in spe gekauft worden, zeigte nun aber diesen optischen Fehler, der jede Hoffnung auf eine züchterische Verwendung zunichte machte. Mein Einwand, dass dieser schöne Bursche ja durchaus als Familien- und Begleithund noch ein langes und gutes Leben vor sich haben könne, wurde vom Tisch gewischt und mir versichert, dass auch der Züchter des Jungrüden nicht wolle, dass so ein Exemplar in der Gegend rumlaufe. Ich habe den Mann damals der Praxis verwiesen und bin dabei auch ziemlich laut geworden. Ich habe aber leider so gut wie keinen Zweifel daran, dass dieser Hund trotzdem getötet wurde. Wie in jedem anderen findet man auch in unserem Berufsstand letztendlich immer jemand, der für Geld fast alles macht. Ich denke, man muss nicht weiter darauf eingehen, dass ein rein optischer Mangel nie und nimmer einen vernünftigen Grund für eine Euthanasie darstellen kann.
In den USA würde eine solche Einschläferung, die nur dem Interesse und der Bequemlichkeit des Besitzers dient, das Lebensrecht des Tieres aber völlig verneint, unter dem Begriff “convenience euthanasia” eingeordnet. Das nach unseren hiesigen Vorstellungen eher rudimentäre amerikanische Tierschutzrecht verbietet solche Tötungen aus Bequemlichkeitsgründen nicht ausdrücklich. Ein amerikanischer Haustierbesitzer kann unter rein rechtlichen Gesichtspunkten durchaus die Einschläferung seines Tieres fordern, weil die Haltung zu mühsam geworden ist, weil er nach Jahren ohne gescheiten Urlaub mal wieder in die Karibik fliegen will oder weil das Tier die Einrichtung beschädigt. Dortige Praxen und Kliniken schlagen sich permanent mit der Frage herum, ob und in welchem Ausmaß man auf solche Ansinnen eingehen soll, beispielsweise um zu verhindern, dass das Tier unter unkontrollierten Bedingungen vom Besitzer selbst getötet wird. An Schusswaffen in privater Hand mangelt es ja in den USA bekanntermaßen nicht.
Diese Probleme haben wir hier dankenswerterweise nicht oder allenfalls ansatzweise. Es kann allerdings vorkommen, dass gerade Sauberkeitsprobleme oder Einrichtungsbeschädigungen durch Katzen und Hunde den Besitzern so auf die Nerven und ans Geld gehen, dass sie eine Euthanasie des betreffenden Tieres ins Auge fassen. Unsauberkeit kann aber nur dann ein vernünftiger Grund sein, wenn sie im Rahmen von weitergehenden Alterserscheinungen (Demenz), chronischen Nieren- und Darmerkrankungen oder therapieresistenter Inkontinenz auftritt und keine Hoffnung mehr auf Besserung besteht. Unsauberkeit bei Hunden ist ansonsten ein Erziehungsproblem und lösbar, Unsauberkeit bei Katzen ein klarer Hinweis auf Haltungsmängel, die zu beheben sind. Sieht sich der Besitzer dazu außerstande, so ist eine Vermittlung des Tieres in eine andere Haltungssituation angezeigt, und das auch unter Inkaufnahme des Umwegs über ein Tierheim. Das Argument, dass man nicht wolle, dass das Tier ins Tierheim muss, kann nicht als vernünftiger Grund für eine Euthanasie akzeptiert werden. Unzählige Hunde und Katzen haben über Tierheime ein neues Zuhause gefunden.
Hochgradig schwierig kann die Beurteilung der Sachlage werden, wenn es um die Euthanasie eines Tieres geht, das eventuell eine Bedrohung für Leib und Leben von Menschen darstellt. Im Kleintierbereich geht es dabei natürlich in der Regel um Hunde. Hier können wir gleich festhalten: Von ganz, ganz seltenen Ausnahmen abgesehen (haben wir mal im Notdienst erlebt: Amoklaufender Hund, der alles angegriffen hat, was sich bewegt!) wird ein Hund wegen gegen Menschen gerichteter Aggression in unserer Praxis nur euthanasiert, wenn wir Besitzer und Hund seit längerem kennen und deshalb in der Lage sind, die Situation realistisch einschätzen zu können. Auf keinen Fall werden wir ein Tier nur aufgrund von vorberichtlichen Angaben eines uns nicht bekannten Auftraggebers einschläfern. Das ist rechtlich absolut unhaltbar und fängt manchmal schon bei ungeklärten Besitzverhältnissen an. Es ist durchaus schon öfter vorgekommen, dass jemand die Euthanasie eines angeblich gefährlichen Hundes verlangt hat, der gar nicht ihm gehörte. Aber auch bei Hunden, die wir schon länger kennen, liegt die Latte für eine Euthanasie höher als sich mancher Besitzer vorstellen mag. Ein Hund, der anfängt, ihn permanent ärgernde Kinder in die Finger zu zwicken, mag in der betreffenden Familie nicht gut aufgehoben sein, euthanasiert werden darf er deshalb aber auf keinen Fall. Auch ein heftigerer Angriff auf einen Menschen reicht uns nicht immer als vernünftiger Grund aus, beispielsweise wenn wir durch unsere Beobachtung über längere Zeiträume den Eindruck von krassen Erziehungsfehlern gewonnen haben und deshalb der Meinung sind, dass der Hund in kompetenteren Händen keine Gefahr mehr darstellen würde. Alles in allem kann man sagen: Es werden dem Besitzer nach der heutigen Rechtsauffassung große Mühen und Kosten zugemutet – etwa durch Konsultation von auf Verhaltensprobleme spezialisierten Tierärzten – bevor ein Hund aus verhaltensmedizinischen Gründen getötet werden darf.
Der letzte Satz ist eine gute Überleitung zum schlimmsten Problemfeld, das uns Tierärzten durch die aktuelle Gesetzeslage aufgebürdet worden ist: Die Euthanasie aus finanziellen Gründen, ein veritables Schreckgespenst! Die Gerichte haben sich in den letzten Jahren immer mehr auf den Standpunkt eingeschossen, dass finanzielle Gründe allein so gut wie nie ausreichen, um die Tötung eines Tieres zu rechtfertigen. Hat Ihr Hund oder Ihre Katze also einen Unfall, der zu schweren, aber mit entsprechendem Aufwand reparablen Verletzungen führt, darf das Tier nicht allein deshalb getötet werden, weil dieser Aufwand von Ihnen als zu teuer empfunden wird. Es wird von Ihnen erwartet, dass Sie im akuten Fall mehrere Tausend Euro Behandlungskosten aufbringen oder bei chronischen Erkrankungen hohe monatliche Belastungen schultern können. Der oft geäußerte Satz: „Nein, das ist mir zu teuer, schläfern Sie ihn ein!“ bringt zwar den Standpunkt des Besitzers klar zum Ausdruck, ist aber keine rechtlich verbindliche Anweisung an den Tierarzt und liefert keinen vernünftigen Grund für die Tötung des Tieres.
Nun, wie man sieht, ist der juristische Standpunkt zur Euthanasie aus finanziellen Gründen sehr rigoros. Natürlich kennen wir Tierärzte unsere Kunden und ihre Tiere und natürlich bewegen wir uns auch hier wieder in einer Grauzone, die Einzelfallentscheidungen notwendig macht. Das ist oft nicht einfach und kann einen ganz schön ins Schwitzen bringen. In helle Wut versetzen kann einen Tierarzt dagegen die Wurstigkeit mancher Menschen, die sich trotz von vornherein prekärer Einkommensverhältnisse ein Tier anschaffen und schon mit vergleichsweise leichten Erkrankungen dieses Tieres finanziell rettungslos überfordert sind. Da steht man dann da und soll sich eine Lösung für ein Problem einfallen lassen, das leicht zu vermeiden gewesen wäre. Fast alle Katzen, die ich im Lauf der Jahre privat beheimatet habe, stammten aus solchen Situationen, viele weitere konnten wir in gute Hände vermitteln. Das geht aber nun mal nicht in jedem Fall, und ab und zu musste ich mit viel Wut im Bauch das Leben und Leiden eines noch jungen Tieres beenden, weil mir einfach keine realistische Lösung eingefallen ist. Inzwischen, nach dreißig Jahren praktischer Tätigkeit, bin ich auch in diesem Punkt ziemlich kompromisslos geworden. Ich kann nicht mehr akzeptieren, dass ich mein Gewissen mit dem Tod eines durchaus nicht rettungslos kranken Tieres belasten soll, nur weil jemand nicht in der Lage ist, auch nur ein paar Monate vorauszudenken.
Deshalb: Bitte, bitte bedenken Sie, dass Tierhaltung kein Menschenrecht, sondern ein Hobby ist, und zwar ein potenziell ganz schön teures und zudem mit vielen rechtlichen Pflichten verbundenes Hobby. Niemand zwingt Sie dazu, sich ein Tier zuzulegen. Die Haltung eines mittelgroßen Hundes kostet auf eine Lebenszeit von 12 Jahren gerechnet zwischen 15000 und 25000 Euro, und zwar ohne größere Erkrankungen. Für unvorhergesehene Kosten sollte ein vierstelliges finanzielles Polster oder eine vernünftige Tierkrankenversicherung vorhanden sein. Das muss man sich leisten können und wollen. Etwas grob ausgedrückt: Wenn man schon zu Anfang das dringende Bedürfnis hat, wegen zehn Euro Impf- oder Kastrationskosten hin oder her alle Tierärzte im Umkreis anzurufen, um den billigsten herauszufinden, dann kann man sich Hobby-Tierhaltung eigentlich nicht leisten.
Bleiben Sie uns gewogen, bis bald, Ihr
Ralph Rückert