Euthanasie (Teil 4) – Die Emotionen

Ralph Rückert – Tierarzt

Studium an der Ludwig-Maximilian-Universität in München
Niedergelassen in Ulm seit 1989

Mitgliedschaften:
Fachgruppe Kleintierkrankheiten der Dt. Veterinärmedizinischen Gesellschaft
Deutsche Gesellschaft für Tier-Zahnheilkunde
Akademie für tierärztliche Fortbildung
Bundesverband praktizierender Tierärzte e.V. (Fachgruppe Kleintierpraxis)

Wir haben bisher vom technischen Ablauf einer Einschläferung erzählt, haben die rechtlichen Bestimmungen erläutert und uns Gedanken darüber gemacht, was auf keinen Fall ein Grund für eine Euthanasie sein kann. Ein Thema bleibt noch, vielleicht das wichtigste überhaupt: Die mit der Einschläferung eines Haustieres verbundenen und unvermeidbaren Emotionen, und zwar für beide Seiten, Tierbesitzer und Praxis-Team.

Die Euthanasie eines Familientieres ist ein hochgradig emotionales Ereignis. Für manche Besitzer ist die Erfahrung derartig traumatisch, dass sie es danach für lange Zeit nicht oder sogar nie mehr über sich bringen, ein neues Tier anzuschaffen. Wenn wir uns an den ersten Teil dieser Artikelserie erinnern, so wird klar, dass wir unterscheiden müssen zwischen einer spontanen, zum Beispiel durch die Folgen eines Unfalls verursachten und einer geplanten, wegen chronischer, längerfristiger Erkrankungen notwendigen Euthanasie

Im ersten Fall wird die Gefühlslage natürlich durch Schreck, Schock und Wut bestimmt, je nachdem, wie es zu dieser Situation kam. Als Tierbesitzer werden Sie von den Ereignissen buchstäblich überrollt und haben so gut wie keine Entscheidungsfreiheiten. Dementsprechend fühlen Sie sich ohnmächtig und überfordert. Meist ist es in solchen Situationen sehr schwierig, sich und seine Gefühle im Griff zu behalten, wofür wir natürlich Verständnis haben.

Keine Entscheidungsfreiheiten zu haben, kann aber auch ein Vorteil sein. Das würden viele Tierbesitzer unterschreiben, die schon einmal den richtigen Zeitpunkt zu finden hatten, an dem ein chronisch krankes Tier eingeschläfert werden soll. Bei geplanten Euthanasien spielen Zweifel und Angst die wichtigste Rolle. Zweifel daran, ob die getroffene Entscheidung so richtig ist, und Angst vor dem, was da auf einen zukommt. Es ist wichtig, dass Sie sich dabei von uns helfen lassen!

Geht es darum, bei sich allmählich verschlechterndem Gesundheitszustand des Tieres den richtigen Zeitpunkt für eine Euthanasie zu finden, lassen wir uns von zwei Grundsätzen leiten:

  1. Es ist Zeit, wenn die schlechten die guten Tage überwiegen.
  2. Lieber zwei Wochen zu früh als eine Stunde zu spät!

Der zweite Punkt bezieht sich darauf, dass Sie nur die eine Chance haben, den an sich schon schwer belastenden Vorgang würdevoll und so wenig traumatisch wie möglich durchzuziehen. Wenn ein Zustand erreicht ist, den wir als auswegloses Leiden bezeichnen, und Sie auch nur ein wenig zu lang vor dem Unausweichlichen kneifen, kann das für Sie und Ihr Tier wirklich mehr als unangenehme Folgen haben. Statt einer sauber geplanten und in Ruhe durchgeführten Einschläferung durch vertraute Personen in der vertrauten Praxis oder auch zu Hause, kann es dann zu einer panischen Notsituation kommen, die Sie nach hektischem Rumtelefonieren bei Nacht oder am Wochenende dazu zwingt, eine Ihnen nicht näher bekannte tiermedizinische Einrichtung aufzusuchen, in der eine fremde und oft übernächtigte oder überarbeitete Person ohne jede Beziehung zu Ihnen oder Ihrem Tier die Euthanasie durchführen muss. Oder – noch schlimmer – Ihr Tier stirbt Ihnen zu Hause oder auf dem Transport unter den Händen weg, und das meist unter unschönsten Begleiterscheinungen. Die Erfahrung lehrt uns, dass Sterben in vielen Fällen nicht dieser rührende, friedliche und von Geigenmusik untermalte Moment ist, den Hollywood-Filme so gerne zeigen. Nicht umsonst gibt es den Begriff der Agonie, der Todesqual! Das sind dann Eindrücke, die man nicht lebenslang und unauslöschlich im Kopf haben will, wenn man sich später an das geliebte Tier erinnert. Deshalb: Lieber zwei Wochen zu früh als eine Stunde zu spät! Ihr Tier zählt seine Jahre, Tage und Stunden nicht. Ihm ist nur wichtig, dass es gut leben und dann ohne unnötige Quälerei sterben darf.

Ob es nun überraschend oder geplant zur Euthanasie kommt: In den meisten Fällen helfen Sie Ihrem Tier, wenn Sie versuchen, Ihre Emotionen unter Kontrolle zu behalten, bis das Tier eingeschlafen ist. Wir wissen natürlich, wie schwierig das ist, aber es ist auch wichtig, damit der ganze Vorgang in Ruhe und Würde ablaufen kann.

Wie auch immer es zum Verlust Ihres Tieres kommt, was nach dem Ereignis an sich bleibt, ist Trauer, und zwar in einer Intensität, die Menschen, die keine Tiere haben, nicht im Entferntesten nachvollziehen können. Lassen Sie sich von solchen Leuten, die allenfalls eine Meinung, aber letztendlich keine Ahnung haben, nicht in die Ecke stellen! Es ist wissenschaftlich bewiesen, dass die emotionale Belastung durch den Tod eines Hundes keinen Deut geringer ist als beim Tod eines Familienmitgliedes oder eines sehr nahen Freundes. Sie müssen sich also keineswegs dafür schämen, dass Sie der Verlust Ihres Tieres so sehr mitnimmt.

Aus psychologischer Sicht gibt es verschiedene Beschreibungen der Trauerphasen, auf die wir hier nicht näher eingehen müssen. Wir müssen uns nur klar machen, dass der Verlust eines Haustieres, das uns ein (eventuell sehr langes) Stück unseres Lebensweges begleitet hat, nicht spurlos an uns vorüber gehen kann, und die Überwindung der Trauer Zeit und Arbeit kostet. Jeder wird mit seiner Trauer anders fertig, den einen richtigen Weg gibt es nicht. Wichtig ist vor allem eines: Wenn Sie bemerken, dass Sie allein nicht damit fertig werden, dann lassen Sie sich bitte unbedingt helfen, sei es von Menschen, die Ihnen nahe stehen, sei es von uns oder auch von Fachpersonen wie beispielsweise Psychologen oder Psychotherapeuten. Das mag übertrieben klingen, aber es gab durchaus schon Selbstmorde nach dem Verlust des Haustieres. So weit darf es nicht kommen!

Stirbt ein Mensch, wird den Hinterbliebenen von der Gesellschaft ein Trauerritual zugestanden. Stirbt dagegen ein Haustier, müssen die Besitzer – wollen sie nicht sehr schräge Blicke ernten – vom ersten Tag an weitermachen als ob nichts geschehen wäre. Lässt man auch nur die geringste Beeinträchtigung nach außen sichtbar werden, bekommt man meist noch den Satz “War doch nur ein…” reingedrückt. Dagegen muss man sich mental wehren. Kapern Sie, wenn es Ihnen als richtig erscheint, ruhig ein paar der für verstorbene Menschen üblichen Trauerrituale. Vergraben Sie Ihren Hund nicht, begraben Sie Ihn. Lassen Sie ihn nicht beseitigen, sondern einäschern. Verstecken Sie Grab oder Urne nicht, sondern machen Sie was Schönes damit, wie zum Beispiel eine Grabbepflanzung oder eine Urnennische.

Und noch einmal: Wenn Sie nicht der Typ dafür sind, alles mit sich selbst auszumachen, dann lassen Sie sich von anderen Menschen trösten und auffangen. Sicher einer der größten Vorteile der heute oftmals vorhandenen sozialen Vernetzung mit anderen Tierhaltern ist das Verständnis, auf das man im Kreise Gleichgesinnter hoffen kann.

Sollte man sich alsbald ein neues Tier ins Haus holen? Ist das pietätlos? Nein, sicher nicht, für manche Menschen (mich eingeschlossen) ist es die beste Medizin. Immer wieder haben meine Frau und ich uns nach dem Tod eines Hundes eine Pause verordnet. Und immer wieder haben wir es nicht geschafft und uns innerhalb von Wochen erneut einen Welpen zugelegt. Andere Menschen dagegen brauchen eventuell viel länger, bis sie auch nur daran denken können, wieder von vorn anzufangen. Beides ist richtig!

Abschließend wollen wir noch einen Punkt ansprechen, der nicht oft zum Thema gemacht wird: Auch der Tierarzt und sein Team haben bei einer Euthanasie mit Emotionen unterschiedlicher Art fertig zu werden. Sie werden das nicht immer bemerken, weil wir uns natürlich bemühen, so professionell wie nur möglich vorzugehen, und dazu gehört, dass wir uns zu jeder Zeit unter Kontrolle haben.

Fragt man Tierärzte, welche Tätigkeit Sie in ihrem Beruf als die schwierigste und belastendste empfinden, so wird eigentlich so gut wie immer das Einschläfern an erster Stelle genannt. Es ist auch nachgewiesen, dass es dabei für Arzt und Personal zu den höchsten Stresspegeln kommen kann, die in der Tierarztpraxis überhaupt auftreten. Einem guten Tierarzt ist voll und ganz bewusst, dass die reibungslose und fehlerfreie Durchführung einer Euthanasie eine seiner wichtigsten Aufgaben ist. Dementsprechend kann die Einschläferung eines Tieres durchaus Angst auslösen, Angst davor, dass etwas schief geht oder dass die Situation irgendwie ausartet und der Besitzer neben seiner Trauer auch noch einen schlimmen Eindruck von den letzten Minuten seines Tieres mit nach Hause nimmt. Angst kann bei aller Professionalität auch eine Rolle spielen, wenn man es mit hochgradig aggressiven Tieren zu tun bekommt, bei deren Euthanasie massive Konflikte zwischen dem Interesse des Tierhalters an einer ruhigen und würdevollen Vorgehensweise und dem gesetzlich vorgeschriebenen Schutz des Personals vor Verletzungen erwartet werden müssen.

In vielen Fällen schläfere ich ein Tier mit einer Mischung aus Trauer und Erleichterung ein. Erleichtert bin ich meist darüber, dass es mir als Tierarzt erlaubt ist, meinen Patienten eine Art Notausgang anbieten zu können, bevor sie wirklich schlimm leiden müssen. Es kann auch sein, dass ich erleichtert bin, weil der Besitzer nicht auf Kosten des Tieres klammert und dadurch den eigentlich richtigen Zeitpunkt zur Einschläferung verpasst. Der Grad der Trauer ist natürlich stark davon abhängig, welches Tier ich unter welchen Umständen euthanasieren muss. Ein Patient, den wir sein ganzes Leben lang betreut haben, macht uns da verständlicherweise deutlich mehr zu schaffen als einer, den wir gerade erst kennen gelernt haben. Sehr traurig ist es auch, wenn das Schicksal mal wieder so richtig ungerecht zuschlägt und ein noch junges Tier sterben muss.

Nicht oft, aber ab und zu hat man als Tierarzt bei einer Euthanasie auch richtig Wut im Bauch. Schwerste Vernachlässigung kann so eine Sache sein, die mich wirklich zum Kochen bringt. Da kann ich mir dann manchmal auch nicht mehr helfen und bringe meine Empörung mit harten Worten zum Ausdruck. Die im dritten Artikel der Serie angesprochene Euthanasie aus Gründen finanzieller Verantwortungslosigkeit des Besitzers ist ein weiterer Punkt, der mich aus der Fassung bringen kann. Aber, wie gesagt, beides ist dankenswerterweise sehr selten.

Seien Sie sicher, wir wissen (nicht zuletzt aus eigener Erfahrung als Tierbesitzer), was Sie bei der Euthanasie Ihres Tieres durchmachen, und wir geben unser Bestes, diesen Vorgang für Sie so perfekt wie möglich zu gestalten. Haben Sie im Gegenzug bitte Verständnis dafür, dass uns auch mal die Hände zittern oder eine Träne im Auge steht. Mit dieser Bitte kommen wir zum Ende des Artikels und damit auch der Serie. Ich hoffe, dass ich Ihnen dieses sehr schwierige Thema etwas näher bringen konnte.

Bleiben Sie uns gewogen, bis bald, Ihr

Ralph Rückert