Bei der Hundeerziehung wird von vielen Hundetrainern gerne das Verhalten der Tiere im Rudel als Vorbild genommen. Oft wird betont, dass der Mensch die Position des Alphatiers im Hund-Mensch-Rudel einnehmen müsse. Und auch bei etwas rauerem Umgang mit dem eigenen Hund wird auf das Rudel verwiesen. Unter sich gehen die Hunde ja auch nicht gerade zimperlich miteinander um, heißt es dann. Aber ist die Mensch-Hund-Beziehung und das Leben im Rudel wirklich vergleichbar?
Der Mensch als Alphatier
Den Vergleich mit dem Rudel bei der Erziehung der Haushunde anzustreben, liegt nah, immerhin funktionieren solche sozialen Gemeinschaften sowohl bei Wölfen als auch bei Straßenhunden äußert gut. Leben, jagen, fressen – alles geschieht innerhalb der festgelegten Strukturen. Dominanz, Rangordnung und Grenzen werden innerhalb der Meute geklärt. Warum es also in der Mensch-Hund-Gemeinschaft nicht genauso machen?
Über die Jahre haben sich eine ganze Menge Theorien darüber angesammelt, wie man als Mensch die Position des Alphatiers im Rudel einnehmen kann. Hundehalter Michael Frey Dodillet aus Erkrath hat viele dieser Rudel-Methoden mit seinen beiden Hunden Luna und Wickie über die Jahre ausprobiert und seine Erfahrungen humorvoll in Buchform festgehalten. In seinem Bestseller „Herrchenjahre“ berichtet er, dass mehrere Trainer ihm empfahlen, den Hund nie höher liegen zu lassen (was nur dem Alphatier vorbehalten ist), immer als erster durch die Türe zu gehen oder beim nach Hause kommen mit den Füßen zu scharren.
Eine falsche Rudelvorstellung
Aber was ist wirklich dran an all diesen Theorien? Dr. Frank Wörner ist Rudelforscher und aktives Mitglied der Gesellschaft zum Schutz der Wölfe. Der Zoologe findet es durchaus angemessen, dass man im Alltag mit dem Hund auch Vergleiche zum Rudel zieht, diese müssen aber auch den Tatsachen entsprechen und dürfen nicht nur aus Halbwissen oder Irrglaube bestehen. Regeln wie die, dass die Alphatiere immer vorangehen, als erste fressen oder immer erhöht liegen, gäbe es in einem natürlichen Rudel nicht. Man müsse von dieser alten Rudelvorstellung, bei der oben das Alphatier steht, das alles unter Kontrolle hat, runterkommen. Vielmehr sei das Rudel ein sozialer Verband, der einer Menschenfamilie nicht unähnlich sei.
Die Ordnung in der Gruppe
Diese Ansicht vertritt auch Hundetrainer Mirko Tomasini, der nach dem sogenannten Leitwolf-Prinzip arbeitet. Bei dieser Methode bedient sich Tomasini verschiedener Mechanismen des Rudels und propagiert eine Rückkehr zur natürlichen Kommunikation mit dem Hund, unter anderem durch eine klare Körpersprache. Für ihn bedeutet Rudel ein Familienverband, der ein Gefühl von Zugehörigkeit hat, ein Gefühl von füreinander da sein und einstehen.
Leitwolf-Training bedeute nicht, dass jemand zum Wolf werden muss. Es sei die Ordnung in der Gruppe, die er dem Rudel nachbilde. Vorweg gehen oder höher liegen spiele dabei überhaupt keine Rolle, solange das Gesamtgefüge stimme. Nach Mirko Tomasinis Definition nimmt sich das Alphatier auch mal zurück und sagt: Meiner Gruppe soll es auch gut gehen.
Hundetrainerin Manuela Zaitz ist da anderer Meinung. Sie arbeitet vor allem mit positiver Verstärkung über den Klicker (Konditionierung), den Rudelvergleich hält sie für fragwürdig. Ihrer Meinung nach können Rudel artfremd gar nicht gebildet werden. Sie vermutet dahinter in vielen Fällen vielmehr eine Rechtfertigung für bestimmte Trainingsmethoden, die aber am Ende nicht viel mit echten Rudeln zu tun haben.
Vom Rudel lernen
In einer Sache sind sich Manuela Zaitz, Mirko Tomasini und Dr. Frank Wörner einig: Ganz unabhängig davon, ob es sinnvoll ist, in der Mensch-Hund-Beziehung ein Rudel nachzubilden, können wir als Menschen eine Menge über die Kommunikation von Wölfen und Hunden lernen, wenn wir Rudel beobachten. Denn in ihrer Sprache sind Wölfe und Hunde, trotz Tausender Jahre Domestizierung, die zwischen ihnen liegt, ganz ähnlich. Frank Wörner meint, dass Menschen das Rudel zwar nicht imitieren, dem Hund aber die Geborgenheit des Rudelverbandes geben können. So weiß der Hund, er ist von uns akzeptiert, er bekommt Liebe und Fürsorglichkeit.
Quelle: WDR