Wie der Wolf zum Hund wurde – Genetische Methoden und archäologische Spuren

1. Genetische Methoden im Detail

Die in Nature Communications publizierte Studie (2017) nutzte einen Methodenmix aus alter DNA-Forschung (aDNA) und moderner Populationsgenetik:

  • Mitochondriale DNA (mtDNA)
    • Stammt aus den Mitochondrien, wird ausschließlich mütterlich vererbt.
    • Vorteil: relativ stabil, in vielen Kopien vorhanden, daher auch in alten Knochenproben nachweisbar.
    • Eignet sich gut für Stammbaumanalysen (Phylogenien).
    • Ergebnis: Alle Hunde zeigen eine gemeinsame Abstammungslinie – kein Hinweis auf mehrfache Domestikationen.
  • Nukleare DNA (nDNA)
    • Enthält den Großteil des Erbguts, ist komplexer, aber auch informativer.
    • Mit Hilfe von Single Nucleotide Polymorphisms (SNPs) wurden genetische Unterschiede zwischen Hunden, alten Wolfspopulationen und heutigen Wölfen untersucht.
    • Ergebnis: Hunde stammen von einer Wolfspopulation ab, die heute ausgestorben ist – moderne Wölfe sind also nicht die direkten Vorfahren.
  • Radiokarbondatierung der Knochen
    • Diente zur zeitlichen Einordnung der Proben (z. B. 7.000–35.000 Jahre alt).
    • Dadurch konnte man genetische Daten mit archäologischen Funden verknüpfen.

2. Archäologische Funde und geographische Einordnung

  • Früheste sichere Hundebestattungen
    • Bonn-Oberkassel (Deutschland), ca. 14.000 Jahre alt – eines der ältesten eindeutig als Hund identifizierten Skelette, gemeinsam mit Menschen bestattet.
    • Russland (Eliseevichi), ca. 17.000 Jahre alt – früheste morphologische Unterschiede gegenüber Wölfen.
  • Hypothetische Ursprungsregionen
    • Eurasien (vermutlich irgendwo zwischen Europa und Zentralasien).
    • Studie zeigt, dass Domestikation nicht mehrfach erfolgte, sondern aus einer Ursprungsregion, deren Wölfe inzwischen ausgestorben sind.
  • Kulturelle Hinweise
    • Erste Hunde waren keine „Nutztiere“ im landwirtschaftlichen Sinn, sondern Begleiter von Jägern und Sammlern.
    • Mögliche Vorteile: Unterstützung bei Jagd (Spurensuche, Hetzjagd), Schutz vor Raubtieren, später auch soziale Bindung.

3. Diskussion der Befunde

  • Domestikation vor der Landwirtschaft
    • Hunde wurden bereits domestiziert, bevor Menschen sesshaft wurden und Ackerbau betrieben – also in der Paläolithikum-Epoche.
    • Damit sind Hunde die ältesten Haustiere der Menschheit.
  • Warum nur eine Region?
    • Möglich: Nur in einer bestimmten Jäger-Sammler-Kultur gab es genügend Nähe zwischen Mensch und Wolf, damit sich eine stabile Mensch-Tier-Beziehung entwickeln konnte.
    • Andere Versuche (falls es sie gab) haben sich evolutionär nicht durchgesetzt.
  • Ko-Evolution
    • Es gibt Hinweise, dass nicht nur der Hund durch den Menschen verändert wurde, sondern auch umgekehrt:
      • Menschen entwickelten in Anwesenheit von Hunden neue Jagdstrategien.
      • Die soziale Bindungsfähigkeit könnte bei beiden Arten durch Oxytocin-Regulation verstärkt worden sein (moderne Studien mit Hund-Mensch-Blickkontakt zeigen das).

4. Offene Fragen der Forschung

  • Exakte Region: Archäologische und genetische Hinweise deuten auf ein Areal irgendwo zwischen Mitteleuropa und Zentralasien – aber ein genauer Punkt ist bis heute nicht bestätigt.
  • Mechanismus der Domestikation: War es „Selbstdomestikation“ (Wölfe näherten sich menschlichen Lagern, ernährten sich von Abfällen) oder gezielte Zähmung durch Menschen? Wahrscheinlich eine Mischung.
  • Genetische Anpassungen:
    • Hunde entwickelten Gene zur besseren Stärkeverdauung (Amy1-Gen), was ihnen half, sich an die menschliche Ernährung anzupassen.
    • Veränderte Gene im Bereich Stress- und Angstreaktionen, die sie zahmer machten.
    • Unterschiede im Gehirnstoffwechsel (Dopamin, Serotonin) könnten ihre erhöhte Sozialität erklären.

Fazit

Die Studie belegt:

  • Einmalige Domestikation des Wolfes in einer Weltregion.
  • Zeitpunkt: 20.000–40.000 Jahre vor heute, während der letzten Eiszeit.
  • Ergebnis: Entstehung des ersten domestizierten Tieres, das den Menschen nicht nur als Helfer diente, sondern eine symbiotische Beziehung aufbaute.

Damit ist der Hund nicht nur „der beste Freund des Menschen“, sondern auch das älteste Beispiel für Mensch-Tier-Koevolution.

📅 Zeit (vor heute)🧬 / 🏺 Ereignis
40.000 Jahre🧬 Beginn der genetischen Abspaltung von Wölfen (aDNA-Analysen)
30.000 Jahre🏺 Frühe Hinweise auf Mensch-Wolf-Annäherung (Russland, Kostenki)
20.000 Jahre🧬 Domestikation in einer Weltregion abgeschlossen (genetische Daten)
17.000 Jahre🏺 Russland (Eliseevichi): erste morphologisch erkennbare Hunde
14.000 Jahre🏺 Deutschland (Bonn-Oberkassel): ältestes sicher datiertes Hundeskelett
10.000 Jahre🌍 Ausbreitung domestizierter Hunde mit Jägern/Sammlern nach Europa & Asien

Quellen (Originalartikel & Berichterstattung):